Dank Hoffnung die Pandemie überwinden: Covid-19-Krise: ein ethisch-spiritueller Ansatz

Die Covid-Krise beeinflusst das Leben eines jeden Menschen und unserer gesamten Gesellschaft zutiefst, und zwar noch für einige Zeit. Die Krise wirft ein Schlaglicht darauf, welche Sicht wir auf das Leben haben und, noch konkreter, wie wir unser eigenes Leben und jenes der anderen verstehen. Resignation, Verzweiflung, Empörung, die Suche nach einem Sündenbock … all dies mag uns auflauern. Doch wir haben noch eine andere Möglichkeit: die Hoffnung. Ausgehend von Papst Franziskus[1] nachfolgend ein paar Gedanken, die uns helfen und uns ermutigen sollen. Trauen wir uns, mithilfe seiner Überlegungen einige Lehren für die Zukunft aus der Krise zu ziehen!

Wir leben in einer wegweisenden Zeit. Sie erlaubt uns, unsere Gesellschaft und unser persönliches Leben, das oft in Individualismus, Selbstbezogenheit und mangelnder Solidarität gefangen ist, neu auszurichten. Sie bietet Gelegenheit, unsere Prioritäten zu überdenken und den Mut zu haben, uns eine bessere Welt zu erträumen. Papst Franziskus sagt: «Gott fordert uns auf, es zu wagen, etwas Neues zu erschaffen»[2] und «Mich erfüllt das mit der Hoffnung, dass wir mit einer besseren Zukunft aus dieser Krise herauskommen.»[3] Werden wir die Herausforderung annehmen, uns der Wirklichkeit zu stellen, Prioritäten zu setzen und schliesslich zu handeln?

Eine Zeit zum Sehen

In einer Zeit der Prüfung wird das Herz jedes einzelnen Menschen und jenes der Gesellschaft insgesamt offenbart. Die Krise hat die Güte so vieler Männer und Frauen, die sich aufgeopfert haben, offenbart. Die einen haben die kranken Menschen gepflegt – Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, weiteres Gesundheitspersonal, die Aussergewöhnliches leisten; andere haben sie begleitet: Priester, Geistliche, Seelsorgerinnen und Seelsorger; wieder andere haben Schwachstellen aufgedeckt und dabei geholfen, sie zu kitten: Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Verbände, Freiwillige und alle, die in der Diakonie, im Dienste unserer Brüder und Schwestern, tätig sind. Manche unter ihnen haben gar ihr eigenes Leben geopfert. Vielleicht sind sie die wahren Märtyrer dieser Zeit: «Sie waren Zeugen von Nähe und Zärtlichkeit. Viele haben auf tragische Weise ihr Leben verloren.»[4] Öffnen sie, diese wahren «Antikörper gegen das Virus der Gleichgültigkeit»[5], uns durch ihr Handeln in der Rolle eines Samariters nicht den Weg zur Heiligkeit, indem sie sich von dem, was sie gesehen haben, berühren lassen?

Denn ja, die Pandemie hat auch aufgedeckt, dass wir dazu neigen, im Zusammenhang mit dem Schutz vor Covid wenig solidarisch zu sein, um uns und andere vor Covid zu schützen. Dabei wird die individuelle Freiheit höher gewichtet und man vergisst, dass diese im Zusammenhang mit anderen Freiheiten steht, mit den Freiheiten der anderen, mit jenen derer, die Teil der menschlichen Gemeinschaft sind.

Die Krise hat auch die Regierungen dieser Welt auf die Probe gestellt: Sie mussten zwischen der Wirtschaft und dem Wohl der kranken Menschen wählen. Die Entscheide der Regierungsvertreter haben ihre Prioritäten und ihre Werte zutage gebracht. Es gilt anzuerkennen, dass viele Regierungen den Schutz der Kranken an erste Stelle setzten und alles getan haben, um deren Leben zu retten und um dramatische Szenarien wie die Triage von Kranken zu vermeiden.

Was wäre, wenn diese Krise den Mythos der Selbstgenügsamkeit, in dem wir uns wähnen, infrage stellt? Angesichts der kolossalen Ohnmacht, die Krise alleine zu bewältigen, hat die Lockdown-Erfahrung aufgezeigt, wie sehr wir zueinander gehören, wie sehr wir einander brauchen. Wir verspüren Geschwisterlichkeit, was unsere Herzen an das Streben nach gegenseitiger Unterstützung gemahnt; dabei wird die Wegwerfkultur hinterfragt, bei der die Schwächsten oder jene, die als «nutzlos» oder «zweitrangig» gelten, geopfert werden.

Die Pandemie zeigt weiter auf, wie wichtig die Vernetzung durch Medien und soziale Netzwerke ist, die eine Art Nähe schaffen, die zugleich zutiefst unbefriedigender Natur ist. Denn die virtuellen Beziehungen sind unzureichend: Der Mensch ist fleischgewordener Geist mit dem Bedürfnis nach echten Begegnungen; Beziehungen im virtuellen Raum sind bestenfalls komplementärer Natur. Auch die Kehrseite der Medaille von Medien und sozialen Netzwerken wird durch die Pandemie beleuchtet: Desinformation, Verleumdung, eine Post-Wahrheits-Kultur, die zu Gleichgültigkeit gegenüber der Unterscheidung zwischen realen Fakten und Lügen führt und eine Kultur begünstigt, in der unter anderem Fake-News und Verschwörungstheorien über Covid und den Impfstoff kolportiert werden.

Während der Lockdown einerseits das Band innerhalb der Familie gestärkt hat, so lässt sich anderseits nicht leugnen, dass er auch aufgedeckt hat, wie schwierig das Zusammenleben in vielen Fällen ist und dass es in manchen bis hin zu häuslicher Gewalt führt. Ebenso wenig kann man die Augen davor verschliessen, dass zahlreiche Menschen, die gezwungenermassen, aufgrund des Social Distancing, in Einsamkeit leben, seelisch, mental und spirituell leiden. Bei den Jugendlichen hat der Umstand, etwas hinnehmen zu müssen, was sie scheinbar nicht betrifft, zu Unverständnis und Frustration geführt. Die Pandemie hat auch verschiedene Wirtschaftssektoren getroffen und zu finanziellen Schwierigkeiten bei so mancherlei Menschen geführt. Können wir uns mit dieser traurigen Feststellung abfinden?

Eine Zeit zum Unterscheiden und Wählen

In Wirklichkeit hat diese Pandemie die Fallstricke unserer Zeit insgesamt blossgelegt: unsere inneren Grenzen; die Grenzen eines hektischen Lebens, das uns daran hindert, innezuhalten, in uns zu gehen. Stattdessen bleiben wir an der Oberfläche unserer selbst, unfähig, dem wahren Sinn unseres Lebens auf den Grund zu gehen. Wir reflektieren den Sinn des Leidens und des Sterbens nicht mehr, sondern lassen uns vom Lauf der Zeit mitreissen, der gnadenlos ist und der Dimension der Ewigkeit entbehrt.

            Wie wäre es denn, wenn wir diese Zeit des Innehaltens nutzten, um das Leben zu reflektieren, um zu beten, um besser zu beurteilen, was im Leben, in der Familie, in der Gesellschaft zählt? Wir könnten uns der Wirklichkeit gegenüber öffnen und unsere Entscheidungen aufgrund bewusst gewählter Kriterien und deren Anwendung fällen.

            Ausgehend vom Evangelium und den Grundsätzen vom Reich Gottes und den Seligpreisungen hat die Kirche eine Reihe von Beurteilungskriterien erarbeitet; Kriterien, die Leitplanken für das Handeln in unserer Gesellschaft bieten: die Soziallehre der Kirche, die allen zugänglich ist. Wäre das eine Gelegenheit, die darin enthaltenen Schlüsselthemen zu vertiefen, die da sind «die bevorzugte Option für die Armen», «Ausrichtung der täglichen Mühen auf das Gemeinwohl», die von uns fordert, dass wir das Wohl aller berücksichtigen und nicht nur jenes der Mehrheit; die «universelle Bestimmung der Güter», die Solidarität, da wir ja Beziehungswesen sind, und die Subsidiarität, denn wir handeln nicht nur für, sondern mit den anderen als eigenständige Wesen?

            Die Zeit der Covid-Pandemie scheint eine Zeitenwende zu beschleunigen, die schon im Gange war. Wir sind aufgerufen, den Zusammenbruch der Umwelt und die Rückkehr des Populismus zu hinterfragen und dabei zwei Fallen zu vermeiden: jene des Fundamentalismus als Ersatz für die existenzielle Sicherheit und jene des Relativismus, der den gesellschaftlichen und ethischen Themen jedwede Bedeutung abspricht. Angesichts einer vorgefertigten Wahrheit sind wir eingeladen, in aller Demut und im sich wandelnden Kontext unserer Welt die Wahrheit zu erkennen, das heisst, zu unterscheiden zwischen dem, was vertrauenswürdig ist, auf Hebräisch emet, und dem, was enthüllt wird, aletheia. Dabei sollte nicht auf die Suche nach der Wirklichkeit verzichtet werden, nur um zu verhindern, eine Meinung für wahr zu erklären, die sich nicht überprüfen lässt oder die gar falsch ist. Es besteht kein Widerspruch zwischen dem Verwurzelt-Sein in der Wahrheit und zeitgleich dem Sich-Öffnen hin zu einem erweiterten Verständnis.

Der Schock im Zusammenhang mit der Abschottung und der Isolation älterer Menschen hat klargemacht, wie wichtig es ist, den Dialog zwischen den Generationen wiederherzustellen. Wie wäre es, wenn wir einen anderen Blick wagen würden, einen, der offenbart, dass «ältere Menschen unsere Wurzeln sind, unsere Quelle, das, was unser Leben erhält»?[6] Riskieren wir mit dem «Parkieren» älterer Menschen in Heimen nicht, die Achtung vor betagten Menschen zu schmälern? Laufen wir nicht Gefahr, sie zu vergessen und zu einer tödlichen Einsamkeit zu verurteilen, die Symbol für eine herzlose Gesellschaft ist, aber auch ein Symptom für das Verschwinden der religiösen Dimension unseres Lebens, wenn doch gerade diese religiöse Dimension es uns erlauben würde, das Thema «Tod» spirituell erschliessen?

         Sprechen wir über diese religiöse Dimension des Menschen. Die Zeit, die wir erleben, hat es ermöglicht, dieser Dimension Bedeutung für das persönliche, aber auch das gesellschaftliche Leben zuzuschreiben. Die Schliessung von Gotteshäusern in zahlreichen Ländern hat viele Fragen aufgeworfen und dazu geführt, dass die Bedeutung der religiösen und spirituellen Begleitung als Dienst am Menschen wiederentdeckt wird; eine Begleitung, die der Staat nicht nur aufgrund des Prinzips der Religionsfreiheit garantieren muss, sondern auch mit Blick auf das soziale Wohl, das die religiöse und spirituelle Begleitung der Bürgerinnen und Bürger darstellt, was wiederum eine Chance für einen gesunden Säkularstaat ist.

Die ins Bewusstsein gerückten Grenzen eines Wirtschaftsmodells, dessen primäres Ziel Wachstum um jeden Preis ist, erfordern es, die Beziehung zwischen Wirtschaft, sozialem Leben, Umwelt sowie dem Menschen zu überdenken. Die Wirtschaft wird aufgefordert, sich mit einem Schlüsselkriterium auseinanderzusetzen, das Papst Franziskus mit der folgenden Frage zur Sprache gebracht hat: «Was macht menschlicher, was unmenschlicher?»[7]

         Wir werden im Zusammenhang mit der Auslegung der Pandemie mit einer widersprüchlichen und gegensätzlichen Logik konfrontiert, sei es auf Ebene der Kirche selbst, der Politik, der Gesellschaft, der Massenmedien. Dies führt zur Spaltung unter uns, zu einseitigen Positionen und zur Reduktion der Wirklichkeit auf ein manichäisches Weltbild: Wie wäre es, wenn wir angesichts all dessen einander zuhören würden, um gemeinsam mit all unseren Unterschieden in einem synodalen Ansatz voranzukommen?

         Papst Franziskus bietet uns, getreu der ignatianischen Tradition, eine Unterscheidung der Geister an, an der wir unsere Entscheidungen in dieser Zeit der Pandemie ausrichten können. «Die Stimme Gottes mag uns korrigieren, aber immer sanft, immer ermutigend, tröstend, uns Hoffnung gebend. Der böse Geist auf der anderen Seite bietet blendende Illusionen und verlockende Empfindungen, aber die sind flüchtig. Er nutzt unsere Furcht und unseren Argwohn, und er verführt uns mit Wohlstand und Prestige. Wenn wir ihn ignorieren, dann antwortet er mit Verachtung und Anklage; er sagt uns: ‹Du bist wertlos.› Die Stimme des Feindes der menschlichen Natur lenkt uns von der Gegenwart ab, indem sie sich auf die Furcht vor der Zukunft oder die Traurigkeit der Vergangenheit richtet. Auf der anderen Seite spricht die Stimme Gottes zur Gegenwart, sie hilft uns voran. Was von Gott kommt, fragt: ‹Was ist gut für mich, was ist gut für uns?›»[8] 

         Eine Zeit zum Handeln

         «Die neodarwinistische Ideologie vom Überleben des Stärkeren, die von einem uneingeschränkten, von Profit und individueller Souveränität besessenen Markt untermauert wird, hat unsere Kultur durchdrungen, unseren Verstand verdreht und unsere Herzen verhärtet.»[9] Und so werden die Entscheidungen, die wir treffen, um auf die Herausforderungen der Pandemie zu reagieren, das Gesellschaftsmodell von morgen bestimmen. «In der Post-Covid-Welt werden weder technokratisches Managen noch Populismus ausreichen»,[10] so Papst Franziskus. Vielmehr geht es darum, sich ausgehend von der Menschenwürde und der Zugehörigkeit eines jeden Menschen zur grossen Menschheitsfamilie neu auszurichten. Es gibt ein gemeinsames Gut der Menschheit, das das Gut eines jeden einzelnen Volkes übersteigt: «Das Ganze ist immer grösser als die Teile, und Einheit muss über Konflikte hinausgehen.»[11] Individuelle Rechte und Freiheiten zu verteidigen, bedeutet nicht, Individualismus und Souveränität verteidigen zu müssen. Man kann nicht das Interesse eines Volkes verteidigen, indem man die anderen Völker geringschätzt. Wir alle sind Geschwister innerhalb der grossen Menschheitsfamilie. Kains Gleichgültigkeit gegenüber seinem Bruder Abel ist eine Versuchung, die den Einzelnen genauso wie ganze Völker betrifft: die Versuchung, auf die Krise mit der Abschottung des eigenen Volks zu reagieren oder aber mit einem Wettlauf um den Impfstoff, gepaart mit dem Problem der weltweiten Verteilung desselben unter Einbezug der am stärksten benachteiligten Völker des Planeten.

         In Wahrheit «hat die Pandemie uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird».[12] Es ist wichtig, Geschwisterlichkeit und Solidarität zu pflegen. Diese Solidarität «ist mehr als Grosszügigkeit, so wichtig diese auch sein mag; sie ist der Aufruf, die Wirklichkeit anzunehmen, dass wir gebunden sind durch Bande der Gegenseitigkeit. Auf dieser festen Grundlage können wir eine andere, bessere, menschlichere Zukunft aufbauen.»[13]

         Zum Thema Wirtschaftsmodell: «Die Würde des Volkes verlangt nach Gemeinschaft: dem Teilen und Vermehren von Gütern und nach der Beteiligung aller zum Wohle aller. Wir müssen uns mit dem Problem der menschlichen Zerbrechlichkeit auseinandersetzen, mit der Neigung, uns in unseren eigenen engen Interessen abzuschotten. Deshalb brauchen wir eine Wirtschaft, deren Ziele über den engen Fokus auf Wachstum hinausgehen; eine Wirtschaft, die Menschenwürde, Arbeitsplätze und ökologische Erneuerung in den Mittelpunkt stellt.» [14]

         Auch unser Verständnis von Politik ist davon betroffen. Papst Franziskus appelliert in diesem Sinne an uns: «Wir brauchen eine Vision von Politik, die sich nicht darauf beschränkt, die Staatsmaschinerie zu verwalten und für die Wiederwahl zu werben, sondern die fähig ist, die Tugend zu pflegen und neue Bindungen zu schmieden. […] Wir brauchen Politiker, die für ihre Aufgabe brennen, ihrem Volk die drei ‹t› zu sichern (tierra, techo, trabajo), also Land, Wohnraum und Arbeit, sowie Bildung und Gesundheitsversorgung.»[15] Er lädt die Politikerinnen und Politiker auch dazu ein, eine Ethik der Nähe zu verfolgen. Und so fordert er von den Politikern: «Unsere Zeit braucht eine Generation von Politikern und Führungspersönlichkeiten, die inspiriert sind von Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das davon spricht, wie wir unser Leben, unsere Berufung und unsere Sendung weiterentwickeln können. Wir stellen so oft fest, dass der Kern aller Probleme die Distanz ist. Angesichts des Mannes, der am Strassenrand zurückgelassen wurde, beschliessen einige, weiterzugehen: Weit entfernt von der Situation ziehen sie es vor, die Tatsachen zu ignorieren und weiterzumachen, als ob nichts geschehen wäre. Gefangen in verschiedenen Denkweisen und Rechtfertigungen gehen sie vorüber.»[16]

         Die aufgedeckten Schwächen – der Immigrant, das verlassene Kind, das seelisch verletzte Kind, der betagte Mensch, der entlassene Mitarbeiter, der arme, der ausgegrenzte, der randständige Mensch – sie alle stellen unsere Vorstellung vom Leben infrage. Eine echte Kultur des Lebens erfordert, dass das Leben jedes Menschen von der Empfängnis bis zum Tod geschützt wird: «Ohne eine Vision einer Gesellschaft, welche in der Würde aller Menschen verwurzelt ist, führt die Logik des ungehinderten Marktes dazu, das Leben von einem Geschenk in ein Produkt zu verwandeln.»[17] Folgende Aufforderung richtet sich entsprechend an uns: «Demokratie wird durch die Sorgen und die Weisheit des sie bildenden Volkes neu belebt. Politik kann wieder ein Ausdruck der Liebe durch Dienst sein. Indem wir die Wiederherstellung der Würde unserer Völker in den Mittelpunkt der Welt nach Covid rücken, machen wir die Würde aller zu unserem Schlüsselziel. Eine Welt zu schaffen, in der die Würde durch konkrete Massnahmen gewürdigt und respektiert wird, ist nicht nur ein Traum, sondern ein Weg in eine bessere Zukunft.»[18]

***

         Und was, wenn die Chance dieser Zeit darin bestünde, uns mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, die jenseits jedweder Illusion steckt, und vom Wesentlichen auszugehen, um herauszukristallisieren, welche Wege zu beschreiten sind? Jede Krise kann ein Neuanfang sein. Es ist eine Illusion und vielleicht ein Zeichen mangelnder Weisheit, so zu tun, als könne man die Zeit zurückdrehen und das Leben von vorher wieder aufnehmen, wie wenn es die Pandemie nie gegeben hätte.

         Die Krise gibt uns die Gelegenheit, die positiven Dinge in unserer Gesellschaft sowie die unerschöpflichen menschlichen Ressourcen, die es in jeder Nation gibt, wertzuschätzen. Sie hat auch die Grenzen eines gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebensstils aufgezeigt, der allzu oft das Interesse Einzelner oder bestimmter Gruppen in den Vordergrund stellt. Die Krise fordert uns auf, eine Ethik der Verantwortung zu verfolgen; Verantwortung, die die ganze Menschenfamilie umfasst. Die Covid-Krise hat uns aufgezeigt, dass die Landesgrenzen zwar einen intrinsischen Wert haben, aber nicht zur undurchlässigen Trennwand verkommen dürfen. Unsere Identität ist eine Identität, die weltoffen und empfänglich für das universelle Leid ist. Der Nächste hat immer ein Gesicht, das uns berührt. Der Mitmensch ist nie eine Nummer, ein Objekt oder ein Mensch einer bestimmten Ethnie, sondern ein Mensch, der uns verpflichtet, uns von uns selbst zu lösen; ein Bruder oder eine Schwester, ausnahmslos unserer Liebe würdig. Wie wäre es, wenn wir diese Zeit der Pandemie als Gelegenheit betrachteten, menschlicher zu werden; wenn sie uns in unserer Menschlichkeit bereichern würde? Wenn sie zu einer Zeit würde, in der wir die menschliche Würde wieder als Massstab für das Wirtschafts- und Gesundheitssystem nehmen würden? Und wenn diese Prüfung uns erlauben würde, die Grundlage zu schaffen für eine bessere Zukunft, inspiriert vom grossen Projekt der «Zivilisation der Liebe» (Paul VI)?toujours en encourageant, en consol

Die Zeit der Covid-Pandemie scheint ein günstiger Zeitpunkt, ein Kairos, zu sein, um uns die grossen Fragen des Lebens zu stellen. Einerseits werden wir von der Hoffnung getragen, dass der Fortschritt der Wissenschaft dieser Krise ein Ende setzen kann. Anderseits sehen wir bei vielen Menschen eine existenzielle Krise angesichts des Leidens und des Todes, der die Endlichkeit und Verletzlichkeit des Menschen offenbart. Der Blick des gläubigen Menschen bereichert unser Erleben. Er bietet uns eine Interpretation, die unseren Blick weitet für das Wesentliche, das für unsere Augen unsichtbar ist. Er erlaubt uns, die derzeitige Erfahrung des Leidens und des Sterbens mit neuen Augen zu lesen. Verankert in diesem Glauben und aus dem Vertrauen heraus entsteht Hoffnung. Die ganze Heilige Schrift lädt uns zum Vertrauen ein und verkündet das Prinzip aller Hoffnung: Die wahre, grosse Hoffnung des Menschen, die aller Enttäuschung widersteht, kann nur Gott sein – der Gott, der uns geliebt hat und der uns immer liebt bis ans Ende, bis alles vollbracht ist (vgl. Joh. 13,1 und 19,30); (Benedikt XVI., Spe salvi, 27). Die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz (KBSBK) bietet in dieser Zeit der Pandemie einen ethisch-spirituellen Blick auf die Krise.


[1] vgl. Papst Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise, Kösel, 2020
[2] ebd., 13
[3] ebd., 15
[4] ebd., 16
[5] ebd., 22
[6] ebd., 78
[7] ebd., 81
[8] ebd., 82
[9] ebd., 148
[10] ebd., 145
[11] ebd. 135
[12] ebd., 137
[13] ebd., 138
[14] ebd., 142
[15] ebd., 163
[16] ebd., 144
[17] ebd., 149
[18] ebd., 170